Tríar Manach

Ein mittelalterlicher Witz aus Irland

Herausgegeben, übersetzt, bebildert und gesprochen
von
Dennis King

nahua voluta

Die Geschichte kommt ans Tageslicht

1892 veröffentlichte Standish Hayes O’Grady in Edinburgh Silva Gadelica: A Collection of Tales in Irish. Im Vorwort erwähnte O’Grady den seines Wissens nach kürzesten irischen hagiographischen Text, den er folgendermaßen zusammenfasste:

“Drei Bußfertige beschlossen der Welt zu entsagen und sich zur Askese in eine Einöde zu begeben. Nach genau einem Jahr Schweigen sagte der erste: ‘Wir führen ein gutes Leben.’ Nach einem weiteren Jahr antwortete der zweite: ‘So ist es.’ Und als ein weiteres Jahr zu Ende gegangen war, rief der dritte: ‘Wenn ich hier keinen Frieden und keine Ruhe haben kann, gehe ich wieder in die Welt zurück!’”

O’Grady fügte hinzu: “Das irische Original findet sich in einer Papierhandschrift des British Museum, ich habe aber im Augenblick die Angabe verlegt.”

Der irische Text kam schließlich 1926 im zweiten Band des Catalogue of Irish manuscripts in the British Museum, den Robin Flower zusammen gestellt hatte, zu Tageslicht. Dr. Flower schreibt auf Seite 586, dass der Text “offenbar aus einer mittelalterlichen Handschrift stammt.” Nur wenige altirische Texte sind in ihrer ursprünglichen Niederschrift auf uns gekommen. In fast allen Fällen wurde das Material wieder und wieder aus älteren Handschriftensammlungen in neuere abgeschrieben, wenn sich die alten Bücher abgenützt hatten. Die Sprache dieser kurzen Anekdote ist vermutlich mehr als tausend Jahre alt, jedoch ist sie nur als Kopie in der Egerton 190 genannten Papierhandschrift in der British Library erhalten, die 1709 von Richard Tipper aus Mitchelstown, Co. Dublin geschrieben wurde.

Dr. Flower druckte den irischen Text ohne Übersetzung ab:

“Triar mannach dorath (sic) diultadh don tsaoghal. Tiagait a fasach do athghaira a pecadh fri Dia Bhadar cin labhradh fri araile co ceann bliaghna. Is ann isbeart fear dibh fri aroile dia bliaghna ‘Maith atámm,’ ol se, ‘amen’ [...] co cionn bliaghnai. ‘Is maith ón,’ ar in dara fear. Batar ann ier suidhe co ceann bliaghna. ‘Toingim nam abith (sic),’ ar in treas fear, ‘mine lecthi ciunnus damh co n-imgeb in fasach uile dibh.’ Finis.”

Genauer betrachtet

2008 hatte ich die Gelegenheit, einen Mikrofilm der Handschrift in Augenschein zu nehmen. Dieser zeigte ganz deutlich, dass Dr. Flowers Transkript nicht ganz korrekt war. Eine aktuell korrigierte Transkription folgt hier, in der die verbesserten Lesungen tsaoghail, tiegait, uam, abit hervorgehoben sind. Von diesen vier Wörtern machen nur das dritte und vierte einen wesentlichen Unterschied im Textverständnis aus. Ich habe alle Interpunktionen entfernt, die Dr. Flower eingefügt hat, da ich überzeugt bin, dass er das Wort “amen” fälschlicherweise als Teil des Dialogs auffasste.

TRIAR mannach dorath diultadh don tsaoghail. tiegait a fasach do athghaira a pecadh fri dia. bhadar cin labhradh fri araile co ceann bliaghna. IS ann isbeart fear dibh fri aroile dia bliaghna Maith atamm ol se amen.co cionn bliaghnai. IS Maith on ar in dara fear batar ann ier suidhe co ceann bliaghna Toingim uam abit ar in treas fear mine lecthi ciunnus damh conimgeb in fasach uile dibh. FINIS

Schreibung und Grammatik

Der handschriftliche Text enthält zahlreiche Schreibungen, die auf die frühneuirische Periode zurückgehen. Ich habe sie an die Regeln des Altirischen angepasst und auch die Wortformen einiger Wörter so normalisiert, dass sie ungefähr der spätaltirischen oder frühmittelirischen Praxis entsprechen. Der einzige grössere editorische Eingriff, den ich vorgenommen habe, ist die Emendation der Handschriftenlesung “athgaira” zu “aithrigi” (Busse), da es hier in der Überlieferung zu einer Verderbnis gekommen zu sein scheint. Ich danke Elisa Roma für diesen Hinweis. Mein Dank geht auch an Liam Breatnach, auf den die Deutung von “uam” zurückgeht.

Die Abbildungen

Die Abbildungen in den Illustrationen entstammen im wesentlichen aztekischen Codices aus Mexiko aus der Zeit unmittelbar nach der spanischen Eroberung. Die meisten davon, einschließlich aller Figuren, wurden dem Codex Boturini entnommen. Der Berg stammt dagegen aus dem Codex Aubin, das Haus von einer Wandmalerei im Tempel der Krieger in Chichén Itzá, ein kleines Bild einer Pflanze aus dem Codex Fejérváry-Mayer und der Hase gleich daneben aus einer Inschrift am Fels von Tízoc. Ich habe die Bilder frei angeordnet, wie es die altirische Erzählung erforderte, wobei ich einige leicht verändert habe.

Die Geschichte in acht Bildern

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Die Geschichte auf altirisch anhören.

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Tríar manach do·rat díultad dont saegul.

Drei Mönche hatten der Welt entsagt.

I

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Tíagait i fásach do aithrigi a peccad fri día.

Sie gehen in eine Einöde, um für ihre Sünden Busse zu tun.

II

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Bátar cen labrad fri araile co cenn blíadnae.

Ein Jahr lang sprachen sie nicht zu einander.

III

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Is and as·bert fer diib fri araile dia blíadnae, “Maith at·taam,” olse.

Dann, genau ein Jahr danach, sagte einer von ihnen zum anderen: “Wohl tun wir”, sagte er.

IV

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Amein co cenn blíadnae.

Ebenso ein weiteres Jahr.

V

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“Is maith ón,” ol indara fer.

“Ja, wohl,” sagte der zweite Mann.

VI

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Bátar and íar suidiu co cenn blíadnae.

Danach waren sie noch ein Jahr dort.

VII

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“Toingim fom aibit,” ol in tres fer, “mani·léicthe ciúnas dom co n-imgéb in fásach uile dúib.”

“Ich schwöre bei meiner Kutte,” sagte der dritte Mann, “wenn ihr mir keine Ruhe lasst, dann lasse ich euch allein in der Einöde!”

VIII

Die Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert

Ein internationales Märchenmotiv

Diese kurze Erzählung ist in The Types of International Folktales von Hans-Jörg Uther (Helsinki. 2004) verzeichnet, wo sie die ATU-Nummer 1948 trägt. Kürzlich wurde sie auch in Band 12 der Enzyklopädie des Märchens (Berlin. 2007) besprochen. Uther zitiert Fassungen aus Norwegen, Finnland, Friesland, Irland und anderen nordeuropäischen Ländern. Er fasst die Erzählung folgendermaßen zusammen:

Zuviel Geschwätz. Drei schweigsame Männer (Trolle, Brüder, Kapitäne, Bauern) ziehen sich aus der Welt in eine Einsiedelei (Tal, Kloster, Insel) zurück. Nach sieben Jahren spricht einer: “Ich glaube, ich habe eine Kuh muhen gehört.” Die anderen sind gestört, schweigen aber weiter. Nach weiteren sieben Jahren spricht ein anderer: “Es könnte auch ein Ochse gewesen sein.” Der dritte ist verärgert, spricht aber nicht. Nach weiteren sieben Jahren sagt er: “Ich verlasse diesen Ort, da es hier zuviel Geschwätz (Lärm) gibt.”

Die neuirische Fassung, die in Uíbh Ráthach (der Iveragh-Halbinsel in Kerry) von Séamus Ó Duilearga aufgezeichnet und in Leabhar Sheáin Í Chonaill (Dublin. 1977) veröffentlicht wurde, lautet folgendermaßen:

49. An Triúir Driothár san Oileán Uaigneach

Triúr driothár a imig ar luíng chún na faraige. Thugadar tamall math ar a’ bhfaraige, agus ní raibh aon talamh a’ buala leó, is bhí eagal ortha ná buailfeadh; ach sa deire do casach isteach go hoileán iad, a’s do bhí cuíllthe anuas go dtí an fharaige, agus cranna a’ fás aníos thríthi. Do cheangaluíodar a’ lúng ansan do chrann, agus d’imíodar féinig isteach fén dtír. N’fheacadar éinne, agus níor bhuail éinne leó. Luíodar ansan ar a bheith ag obair ’s a gnó ar feag seach’ mblian, agus i gciúnn na seach mblian labhair duin’ aca:

“Airím géim bó!” a duairt sé.

Ní’ thug éinne aon fhreagar’ ar a’ bhfocal san.

D’imig seach’ mblian eile thórsa. Labhair a’ tarna fear ansan, agus duairt sé: “Canad?”

D’fhan a sgéal mar sin ar feag seach’ mblian eile.

“Mara n-éisti sibh,” aduairt a’ tríú fear, “cuirfear as so sinn!”

Aus einer einzigen alten Erzählung entstanden?

So weit ich beurteilen kann, ist keine der Fassungen von ATU 1948 in den Märchensammlungen älter als das 20. Jahrhundert. Anscheinend datiert keine vor 1892, als die Erzählung zum ersten Mal auf englisch in Silva Gadelica erschien. Heute, mehr als ein Jahrhundert nachdem O’Grady seine freie Übersetzung der Anekdote veröffentlichte, haben sich die von christlichen, buddhistischen und hinduistischen Mönchen bevölkerten Fassungen vor allem in der englischsprachigen Welt vermehrt. Die folgende findet sich in The Kitchen Chronicles: 1001 Lunches with J. Krishnamurti von Michael Krohnen:

“Drei Mönche waren seit vielen Jahren in tiefer Meditation und in völliger Stille inmitten der schneebedeckten Himalayaspitzen gesessen, ohne je ein Wort zu wechseln. Eines Morgens erhebt plötzlich einer seine Stimme, sagt: ‘Was für ein schöner Morgen!’ und verfällt wieder in Schweigen. Fünf Jahre vergehen in Stille, als ganz plötzlich der zweite Mönch seine Stimme erhebt und sagt: ‘Aber ein bisschen Regen könnten wir schon brauchen.’ Danach herrscht unter ihnen für weitere fünf Jahre Schweigen, bis plötzlich der dritte Mönche sagt: “Warum könnt ihr nicht aufhören zu schwätzen?’”

Deutsche Übersetzung von David Stifter